Polemik aus dem Glashaus: Eine Replik auf Strick & Schaffer

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Ein Beitrag von Prof. Dr. Dieter Schönecker

In einem Beitrag im Tagesspiegel vom 22.2.2023 https://www.tagesspiegel.de/wissen/das-beleidigungsnetzwerk-der-verein-der-pobelnden-professoren-9390224.html kritisieren Johanna Schaffer und Simon Strick (kurz: S&S) das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit und namentlich einige ihrer Mitglieder, darunter auch mich. Dazu einige knappe Anmerkungen und Hinweise:

S&S werfen in ihrem Beitrag einigen Autoren eines von Sandra Kostner herausgegebenen Sammelbandes, im Grunde aber dem Netzwerk als solchem u. a. „schrille Formulierungen“, „überzeichnende Sprache“, „Polemik und Eskalation“, „Beleidigungen“, „persönliche Schmähungen“ und „Verunglimpfungen“ vor. In der Tat kann man darüber streiten, wieviel an solcher Kritik ein wissenschaftlicher Text verträgt, ohne seinen wissenschaftlichen Charakter zu verlieren und in Schmähkritik umzuschlagen oder sogar in das, was ich an anderer Stelle „Hasskritik“ genannt habe https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/cancel-culture-hat-legitime-freiheiten-in-der-wissenschaft-18198784.html. Schmähkritik und erst recht Hasskritik können u. a. durch die mit ihnen einhergehenden Einschüchterungs- und Kontaktschuldeffekte wiederum umschlagen in eine subtile Form der Cancel Culture, und auch insofern ist die Kritik von S&S ernst zu nehmen.

Aber erstens ist klar, dass juristisch – und zwar aus guten Gründen der Meinungsfreiheit – die Hürden für Schmähkritik (oder auch so etwas wie Hasskritik) sehr hoch liegen, und gleiches gilt auch für Kritik im Rahmen von Wissenschaft; die Rechtsprechung zeigt das eindeutig. Die inkriminierten Formulierungen bzw. Vorwürfe aus dem besagten Sammelband, mit denen S&S ihre Kritik belegen, muss man in der Tat nicht gutheißen (Autoren des Bandes sprechen in Bezug auf die Genderforschung u. a. von „staatlich finanzierter Ideologieproduktion“, „identitätslinker Läuterungsagenda“, „postkolonial-queer-feministischer Gegen-Aufklärung“, „ideologischen Traumwelten“, „sektiererischer Hermetik“, von „Narzissmus“, „Pseudoforschung“, „kognitiver akademischer Dissonanz“, nutzen Ausdrücke wie „vulgärrassistisch“, „unprofessionell“ und „durchideologisiert“). Dennoch sind sie zweifellos durch die Meinungsfreiheit, aber auch durch die Wissenschaftsfreiheit gedeckt. Und sie sind auch keineswegs unüblich; ich erinnere z. B. an die polemische Kritik, die die theologischen Wissenschaften seit Jahr und Tag erdulden müssen (in jüngerer Zeit etwa die Kritik bei Richard Dawkins).

Dass diese Art von Polemik nicht unüblich ist, kann man, zweitens, auch an Strick selbst erkennen (zu Schaffer kann ich nichts sagen). Man sollte aus Gründen der Integrität erwarten dürfen, dass diejenigen, die sich wie Strick über die angebliche Schmähkritik anderer beschweren, sich selbst so artikulieren, dass sie nicht ihrerseits dem Vorwurf eben dieser Schmähkritik ausgesetzt zu werden verdienen. Ich will hier gar nichts sagen zu den andauernden, oft genug strafrechtlich relevanten Attacken gegen das Netzwerk und seine Mitglieder (an anderer, früherer Stelle hatte ich einmal gesammelt: Das Netzwerk wurde beschimpft als tiefschwarz reaktionär, rechts, rechtsradikal und rassistisch, als Horde Ahnungsloser, als Gruppe alter weißer cis-Menschen mit Prof. Dr. vorm Namen und Angst vor Gendersternchen, als ein Netzwerk zur Rehabilitierung Hitlers, das neurechte Botschaften verbreite sowie riskante Desinformation, das dem Rechtspopulismus einen Nährboden akademischer Autorität biete und das zudem Antisemiten, Schwulenhasser und Rassisten verteidige (alles Zitate); überwiegend kamen und kommen solche Attacken von Menschen aus dem akademischen Milieu). Jedenfalls zieht Strick selbst keine Samthandschuhe an: In einem Beitrag über den sogenannten Siegener Fall (ich hatte in einem Seminar zur Meinungsfreiheit unter anderem Sarrazin und Jongen eingeladen: https://dspace.ub.uni-siegen.de/handle/ubsi/1575) ordnete er mich einem „Agitationsfeld“ zu, das er als „Alternative Rechte“ definiert; das Seminar sei nur ein „kalkulierter Skandal“ gewesen, eine „Linearübersetzung rechter und rechtspopulistischer Medienstrategien aus dem amerikanischen Diskursfeld“; ich hätte mich in „performative Widersprüche“ verwickelt und „vorweggenommene Schmerzgesten“ gemacht; es sei mir „zu keinem Zeitpunkt … um die Meinungsfreiheit“ gegangen; vielmehr sei es meine Taktik gewesen, „die Öffentlichkeit durch unnötig weitergetretene Grundsatzdiskussionen (Kant), an deren Klärung“ ich „selbst kein Interesse“ gehabt hätte, zu „zermürben“; in meinem Seminar sollte „weder etwas bewiesen und diskutiert werden“; die AfD leiste mit ihren Anfragen die „Basisarbeit“ etwa zur Abschaffung der Postcolonial Studies, meine „dramatischen Performances“ lieferten dazu „den Gefühlsraum, in dem Zensur und Abschaffung notwendig und notwehrhaft werden sollen“; Strick spricht von „Schöneckers Umwidmung der Universität in eine kapitalanaloge Wechselbörse der ,objektiven Meinungen‘“ für ein „Zielpublikum“, dem „Männlichkeitsboni“ winkten; ich betriebe einen „Kulturkampf von rechts“. Abgesehen davon, dass das alles falsch ist, kann ich mit solchen Formulierungen leben – it’s a free country. Aber jemand wie Strick, der selbst bei der Wahl seiner Begriffe und Vorwürfe, wie gerade gezeigt, kein Kind von Traurigkeit ist, sollte nicht so empfindlich sein und sich wie ein Schneeflöckchen gerieren, wenn es um seine eigene Person und Disziplin geht. Übrigens sieht Strick schon ein Problem darin, dass ich Adrian Daub in meiner Kritik seines Buches als „Fanatiker“ bezeichne. Aber Strick kommt – wie bei den anderen Formulierungen ja auch – gar nicht auf den Gedanken zu fragen, ob eine solche Bezeichnung nicht angemessen sein könnte. Und sie ist m. E. angemessen bei einem Autor wie Daub, der in seiner Leugnung der Cancel Culture maßlos ist und der so gut wie keinen Funken Wahrheit bei seinen Gegnern zu erkennen vermag – die Daub außerdem wiederholt und scharf mit Polemik überzieht; u. a. nennt Daub die von ihm kritisierten Akteure indirekt „Fanatiker“ (das war der Hintergrund meiner kleinen Spitze).

Drittens und so entscheidend wie einfach: Es ist unredlich und in der Tat eine weitere Demonstration moralischer Einäugigkeit, Mitgliedern des Netzwerkes Schmähkritik und einen Angriff auf Wissenschaften wie Gender Studies vorzuwerfen, selbst aber (wie wiederum nach meiner Kenntnis zumindest Strick) keine Scheu zu haben, die akademische Cancel Culture zu leugnen oder gar zu verteidigen. Auf meine Frage nach einem Vortrag in Siegen, wie er denn die Störungen des Vortrages von Bernd Lucke deute, antwortete Strick: Das sei keine Cancel Culture, das sei einfach nur „Protest“; auch im Falle von Marie-Luise Vollbrecht kommt er zu dem Urteil, die Berliner Biologin sei nur „vermeintlich“ gecancelt worden: https://www.spiegel.de/kultur/geschlechter-identitaet-warum-die-transfeindliche-debatte-einfach-nicht-verstummt-a-83f1a47f-e800-46bf-b5ed-252afb213310 (Das ist, nebenbei bemerkt, ein Text, der, genau wie die Texte im Tagespiegel und in Navigationen, bar jeder Bereitschaft ist, sich auf die eigentliche Sachfrage einzulassen, hier: Stimmt es, dass es biologisch gesehen nur zwei Geschlechter gibt? Strick stellt die Frage nicht einmal; denn wenn sie affirmativ beantwortet werden müsste, könnte die damit verbundene These natürlich nicht transfeindlich sein. Die Schule des Verdachts beherrscht Strick; Argument und Begriffsarbeit sind nicht sein Metier.) Strick gehört zu denen, die immer noch nicht verstanden haben, dass Kritik, auch wenn sie die Grenze zur Schmäh- oder Hasskritik berührt oder überschreitet, eine Sache ist, akademische Verbannung eine andere; wer geschmäht wird, kann sich mit Gründen wehren, wer verbannt wird, soll zumindest aus dem Raum der Gründe ausgeschlossen werden. Selbst wenn es wahr wäre, dass die Autoren des Kostner-Bandes weit über das Ziel wissenschaftlicher Kritik hinausgeschossen haben (was ich nicht denke: Den Vorwurf etwa, „ideologischen Traumwelten“ anzuhängen oder nur „Pseudoforschung“ zu betreiben, muss man sich, wenn er denn irgendwie und halbwegs begründet wird, ebenso gefallen lassen wie andere den Vorwurf, einer „delusion“ (Dawkins) anzuhängen oder zur „Alternativen Rechten“ zu gehören und einen „Kulturkampf von rechts“ (Strick) zu betreiben); selbst wenn also S&S mit ihrer Kritik recht hätten, und selbst wenn Schmähkritik in manchen Fällen zu einer Form des Cancelns werden kann – wissenschaftliche Kritik und akademische Verbannung sind grundverschieden.

Last and least indeed: Der Vorwurf von S&S, das Netzwerk betreibe Aktivismus, läuft ins Leere. Denn natürlich tut es das, dafür ist es ja da. Das Netzwerk ist keine wissenschaftliche Vereinigung, auch wenn seine Mitglieder Wissenschaftler sind und aus seinem Kreis wissenschaftliche Arbeiten über Wissenschaftsfreiheit hervorgehen. Das Netzwerk ist ein Verein, der gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und Änderungen herbeiführen will; deswegen sind wir ja auch im Lobbyregister des Deutschen Bundestags aufgenommen. Und noch zum wiederholten Vorwurf, die Mitglieder des Netzwerkes seien überwiegend materiell sorgenfrei lebende Beamte, die sich außerdem, wie etwa in meinem Fall (1.8 Mio. Euro für ein neues Kant-Zentrum), über mangelnde Mittelzuweisung und daher auch über akademische Verbannung nicht beschweren könnten: Im Netzwerk werden nicht nur Mitglieder aufgenommen, die gecancelt werden, und niemand behauptet, dass die Cancel Culture schon so weit fortgeschritten ist, dass liberale oder konservative Kräfte schon so sehr verbannt sind, dass sie etwa keine Mittel mehr einwerben könnten. Das Netzwerk macht auf eine Gefahr aufmerksam, und seine Mitglieder setzen sich ein für die Wissenschaftsfreiheit von Menschen aller Couleur. Es war noch nie ein Kennzeichen moralischer Rechte, dass der Einsatz für sie nur denen zusteht, die von ihrer Verletzung selbst betroffen sind. Auf solch einen Gedanken kommen nicht einmal Identitätspolitiker.

Prof. Dr. Dieter Schönecker