Hinweise auf weitere Fälle sind willkommen.

B) Wer darf sprechen? Wer soll an der wissenschaftlichen Kommunikation nicht teilnehmen können?
Cancel Culture, oder: Versuche, bestimmten Personen das Recht zu reden abzusprechen oder institutionell zu entziehen

Die Stiftung Sunnitischer Schulrat Baden-Württemberg verweigert dem Islamwissenschaftler und Religionspädagogen Dr. Abdel-Hakim Ourghi, der seit vielen Jahren an der PH Freiburg lehrt und dort 2011 die Leitung des Fachbereiches Islamische Theologie/Religionspädagogik übernahm, die Lehrerlaubnis für islamische Religionslehre. Begründet wurde das damit, dass Ourghi nicht über eine spezifische Ausbildung als Religionspädagoge verfüge. Ein Angebot für eine solche Ausbildung gab es allerdings zu dem Zeitpunkt, als Ourghi sein Studium abschloss (er wurde 2006 an der Universität Freiburg promoviert) in Deutschland gar nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass der Rat der Stiftung, der von zwei konservativen Islamverbänden dominiert wird, die liberale Theologie Ourghis, der sich u.a. um eine Historisierung des Korans bemüht, grundsätzlich ablehnt und ihn deshalb von der Ausbildung zukünftiger Religionslehrer ausschließen will. Ourghi selbst verweist darauf, dass die beiden im Stiftungsrat vertretenen Verbände (der Landesverband der islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg [LVIKZ] und die islamische Glaubensgemeinschaft der Bosniaken) nur einen sehr kleinen Teil der Moscheegemeinden in Baden-Württemberg vertreten, was die Frage aufwirft, ob die Landesregierung verfassungsrechtlich überhaupt befugt war, 2019 diesen Verbänden exklusiv die Kontrolle über die Ausbildung muslimischer Religionslehrer zu übertragen. Die Mitglieder des Rates und der Schiedskommission der Stiftung vertreten zum Teil kontroverse Positionen. In den Medien wird namentlich Mitgliedern der Schiedskommission eine unzureichende Abgrenzung gegenüber dem radikalen Islam, wie ihn etwa die Muslimbrüder vertreten, vorgeworfen. Die Landesregierung scheint aber nicht gewillt zu sein, diesen Vorwürfen nachzugehen, obwohl im Vorfeld der Begründung der Stiftung die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Die Grünen) erhebliche Bedenken gegen die gesamte Konstruktion geäußert hatte. (2021)

Egon Flaig, emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Rostock, wird für April 2021 von seiner Osnabrücker Kollegin Christiane Kunst im Rahmen einer Vortragsreihe zu einem Fachvortrag eingeladen. Sein Thema ist „Die Grenzen von Machtkonzeptionen. Warum lässt sich mit Foucault und Bourdieu keine politische Soziologie machen?“. Der AStA der dortigen Universität bezeichnet Flaig als „Rechtsintellektuellen“, der sich einer „indirekten Rechtfertigung des Mordes an Walter Lübcke“ schuldig gemacht habe, und spricht sich gegen die Einladung Flaigs aus. Darin erhält er Unterstützung von der Fachschaft Geschichte, die behauptet, Flaig verbreite seit Jahren „unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit Positionen der Neuen Rechten“ und leiste damit „einer menschenverachtenden, diskriminierenden und rassistischen Ideologie erheblichen Vorschub“. Der Osnabrücker Professor für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung Christoph Rass und sein Team schließen sich der Kritik ausdrücklich an und organisieren zum Zeitpunkt des Vortrags von Flaig ein Kolloquium über „Geschichtswissenschaft in demokratischen und pluralen Gesellschaften“ als Gegenveranstaltung. Die Osnabrücker Hochschulleitung macht sich die Position des AStA, der Fachschaft Geschichte und des Lehrstuhls von Christoph Rass nicht zu Eigen. Beide Veranstaltungen finden statt – wegen der Covid19-Pandemie allerdings nur digital. (2021)

Die Stadt Hannover sagt eine Veranstaltung über den Kolonialismus ab, auf der Helmut Bley, emeritierter Professor für Neuere und Afrikanische Geschichte an der Leibniz-Universität, einen Vortrag mit dem Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanern und Afrikanerinnen her denken“ halten sollte. Im Vorfeld protestiert die „Initiative für Diskriminierungssensibilität und Rassismuskritik“, mit deren Vertretern Bley nach seinem Vortrag diskutieren sollte, dagegen, dass „ein alter weißer Mann“ sich über afrikanische Verhältnisse äußern wolle. Ein solcher Mensch könne sich nicht „in afrikanische Verhältnisse hineindenken und einfühlen“. Der Kommunikationsleiter des Bürgermeisterbüros begründet die Absage damit, dass sich das angedachte Gesprächsformat als nicht tragfähig erwiesen habe: „Als Veranstalterin ist es uns wichtig, eine offene und liberale Diskussionskultur zu ermöglichen. Diese muss aber von allen Seiten gewollt sein.“ Die Stadt habe sich mit Bley verständigt, dass dieser seinen Vortrag in einem anderen Rahmen halten könne. (2021)

Die Universitätsbibliothek Freiburg versieht Teile „rechter“ Literatur, unter anderem die Werke von Martin Lichtmesz, Jean Raspails „Heerlager der Heiligen“ in deutscher Übersetzung und „Mit Linken leben“ von Lichtmesz und Caroline Sommerfeld, mit dem Vermerk: „Sekretiert: Benutzung nur im Sonderlesesaal zu wissenschaftlichen Zwecken“. Auf Nachfrage teilt die Bibliothek mit, dass sie diese Werke als potentiell volksverhetzend betrachtet, und befürchtet, sich strafbar zu machen, wenn sie allgemein zugänglich wären. Die Bücher sind allerdings im Buchhandel frei verfügbar, und die Bibliothek wendet beispielsweise auf die Werke von Josef Stalin oder Sayid Qutb nicht dieselben Regeln an. Diese kann man ganz normal ausleihen. (2021)

Der AStA und die Vereinigung „Kritische Mediziner*innen“ werfen dem Mediziner Paul Cullen, Außerplanmäßiger Professor an der Universität Münster, „unwissenschaftliche, antifeministische und antisemitische Äußerungen“ vor und fordern den Entzug seiner Apl.-Professur. Sie verweisen dabei auf Cullens Engagement für den Lebensschutz und seine kritischen Äußerungen zur Corona-Impfstrategie der Regierung. (2021)

Bernd Lucke, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, wird nach seiner Rückkehr in den Dienst aufgrund seines früheren Engagements für die AfD daran gehindert, seine makroökonomische Vorlesung zu halten. (2019)

Die Universitätsleitung versucht, Dieter Schönecker, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen, die Verwendung seiner Haushaltsmittel zu untersagen, der damit die Einladung von Dr. Marc Jongen und Dr. Thilo Sarrazin zu Vorträgen in einem Seminar über Meinungsfreiheit finanzieren möchte. Nur unter Polizeischutz können die Vorträge schließlich stattfinden, es gibt Störversuche bei dem Vortrag Schöneckers sowie Diffamierungen und eine Morddrohung gegen ihn. (2018)

Die AfD ruft Studierende dazu auf, AfD-kritische Dozentinnen und Dozenten zu melden bzw. online öffentlich zu benennen. (2018)

Rainer Wendt, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft, eingeladen zu einem Vortrag an die Goethe-Universität in Frankfurt, wird nach Protesten und einem offenen Brief wegen seines angeblichen Rassismus wieder ausgeladen. (2017)

Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Brandenburg führt in Kooperation mit dem RCDS Potsdam an der Uni Potsdam eine Veranstaltung zum Thema „Flüchtlingsland Deutschland“ durch. Den Hauptvortrag soll der Bundesinnenminister Thomas de Maizère halten, der kurzfristig absagen muss. Das Grußwort spricht der Präsident der Universität, Teilnehmer an der vorgesehenen Podiumsdiskussion sind die Generalsekretärin von Amnesty International, ein evangelischer Flüchtlingspfarrer und der Leiter des Verfassungsschutzes Brandenburg. Die Veranstaltung wird von einer Gruppe von „Antifa“-Leuten eine Stunde lang durch Pfeifen und Sprechchöre blockiert. Danach kann die Diskussion unter Polizeischutz verkürzt durchgeführt werden. (2016)

Ein Vortrag von Ulrich Kutschera, Professor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Universität Kassel, über die Grundlagen der Evolutionsbiologie im Rahmen des Studium Generale an der Universität Marburg findet aufgrund seiner Kritik am Gender Mainstreaming nicht statt. Kutschera kommt einer durch das Präsidium der Hochschule empfohlenen Ausladung durch eine Absage zuvor. (2016)

An der Universität Vechta findet eine Ringvorlesung zum Thema Migrationspolitik statt. Den Herausgebern der Beiträge wird aufgrund von Denunziationen und Falschbehauptungen (deren hauptsächlicher Initiator deswegen später zu einer Geldstrafe verurteilt wird) von der Hochschulleitung der aus Drittmitteln stammende Druckkostenzuschuss gestrichen. (2016)

Nachdem Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas an der HU Berlin, schon seit mehreren Jahren Verleumdungen und Störaktionen durch eine trotzkistische Splittergruppe ausgesetzt ist, entwickelt sich nach einem kritischen Beitrag zur Migrationspolitik eine Kampagne gegen den Historiker. Er wird als Rechtsextremist, Rassist und Holocaust-Leugner diffamiert und im Vorfeld von Vortragsveranstaltungen bedroht. Auch die Gründung eines von ihm konzipierten interdisziplinären Zentrums für vergleichende Diktaturforschung scheitert vor diesem Hintergrund. (2015)

Peter Singer, der auf der philcologne zur Frage „Retten Veganer die Welt?“ sprechen sollte, wird von den Veranstaltern wieder ausgeladen. (2015)

Als eine Arbeitsgruppe zu Black Knowledges unter der Leitung von Sabine Broeck, Professorin für American Studies an der Universität Bremen, bei der DFG einen Forschungsgruppenantrag stellt, formiert sich eine internationale Kampagne gegen sie. Eine Gruppe von deutschen und amerikanischen Vertreterinnen der Black Studies weist in einem offenen Brief darauf hin, dass „Black Studies“ in den USA ursprünglich nicht nur als akademisches, sondern auch als politisches Projekt gestartet worden sei. Es sei deshalb ein Skandal, dass die Gruppe, die das Forschungsprojekt mit dem Titel „New Black Diaspora Studies“ geplant hatte, ausschließlich aus Weißen bestünde. Die implizite Annahme der Antragstellerinnen und Antragsteller, sie könnten die für Kontexte wissenschaftlicher Arbeit geltende „Farbenblindheit“ auch für die Black Studies in Anspruch nehmen, wird als Versuch zurückgewiesen, „die Inanspruchnahme weißer Definitionsmacht strukturell und personell zu rekonstituieren.“ Auf den offenen Brief reagiert die Forschungsgruppe mit ihrer Auflösung. „Wir akzeptieren diese Kritik“, heißt es in der Erklärung. Der Gruppe sei bewusst geworden, dass sie in ihrer bisherigen Form „eher ein Teil des Problems des Rassismus statt ein Teil seiner Lösung“ sei. (2015)

Anonyme Blogger richten „Münklerwatch“ ein, einen Blog, auf dem sie aus dem Kontext gerissene Zitate aus den Vorlesungen von Herfried Münkler, Professor für Theorie der Politik an der HU Berlin, als sexistisch oder rassistisch brandmarken. (2015)

Der erste öffentliche Vortrag von Peter Singer in Österreich findet im Rahmen des Philosophischen Café Innsbruck statt. Im Vorfeld wird von Aktivisten öffentlich Druck auf die Veranstalter und die Universität Innsbruck ausgeübt, den Vortrag abzusagen. Bei der Veranstaltung kommt es dann zu einer Störaktion. Schon Ende der 1980er Jahre wurden Vorträge von Peter Singer in Deutschland wiederholt mit der Begründung unmöglich gemacht, dass er das Lebensrecht von Behinderten in Frage stelle. (2014)

Eine von PD Dr. Stefan Luft initiierte Ringvorlesung „20 Jahre Asyl- und Zuwanderungskompromiss – Bilanz und Perspektiven“ an der Universität Bremen wird durch gewalttätige Linksextremisten aus der autonomen Szene verhindert, weil der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein an der Diskussionsrunde teilnehmen sollte. Die bremische Polizei kann die Lehrveranstaltung nicht schützen. (2012)

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