Die Demokratie sollte demokratisch verteidigt werden, auch in der Wissenschaft

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Geraldine Rauch und Jürgen Zimmerer nutzen den „Wiarda-blog“ über Wissenschaft (https://www.jmwiarda.de/2024/02/23/die-demokratie-muss-auch-in-der-wissenschaft-verteidigt-werden/) für einen Aufruf zum Kampf: Die Demokratie müsse auch in der Wissenschaft verteidigt werden. Die Demokratie wird also angegriffen. Von wem? Antwort: durch den Deutschen Hochschulverband, Berufsverband der Professorinnen und Professoren, und das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit.

Das Netzwerk nämlich hat offene Briefe über Wert und Wirkung der „postcolonial studies“ geschrieben, von denen Zimmerer und Rauch meinen: „Wer eine Zukunft in der Wissenschaft will, halte sich tunlich von bestimmten Themen fern, so könnte man dies lesen.“ Es ist möglich, diese Briefe als Ausdruck böser Absichten zu deuten; daher hegen ihre Autoren böse Absichten: so das Argument. Wenn man mit Rauchs und Zimmerers Einlassungen dasselbe täte, hieße dies: Wer es mit ihnen und ihresgleichen nicht verderben will, nehme das Wort Wissenschaftsfreiheit nicht in den Mund. So kann man jeden Text (und jeden Autor) schlecht machen, ohne gelesen oder verstanden zu haben. Diese Art hermeneutischer Brachialgewalt versuchen wir daher bereits unseren Proseminaristen abzugewöhnen. Daher also hier nichts zu den Absichten von Rauch und Zimmerer, sondern zu dem, was sie vorbringen.

Der Kern ihrer Kritik am Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist: „Eine komplette Umkehrung des im Namen angelegten Programms.“ Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit trägt die Freiheit der Wissenschaft im Namen – und praktiziere, so die Autoren, dessen glattes Gegenteil: die Unterdrückung wissenschaftlicher Freiheit. „Offen bleibt also, wer das Canceln tatsächlich praktiziert und wer es versucht zu unterbinden.“ Was Rauch und Zimmerer zu belegen versuchen, ist: Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit macht das, wovor es warnt und was es vorgibt zu bekämpfen: die Unterbindung wissenschaftlicher Meinungsäußerungen.

Logik des Exorzismus

Rauchs und Zimmerers Darstellung zugrunde liegt eine Logik des Exorzismus: Es gibt den Teufel; der Teufel ist tückisch und tarnt sich, und zwar als das Gegenteil eines Teufels, nämlich als Engel oder Heiliger. Die Kunst des Exorzisten besteht darin, diese Tarnung zu durchschauen, den Teufel also als Teufel zu entlarven, um ihn dann austreiben zu können. Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist demnach der Teufel, und der Deutsche Hochschulverband ist von diesem Teufel besessen.

Nun aber gilt: Der Teufel wirkt ansteckend; wenn irgendwo der Teufel drin ist, ist bald alles des Teufels. Also heißt es, keine Zeit zu verlieren: Der Teufel muß ausgetrieben werden, schnell und radikal. Dabei sind gegen den Teufel – immerhin kein x-beliebiger Kleinkrimineller – alle Mittel recht. Am Ende müssen die vom Teufel Besessenen durch ein Bekenntnis beweisen, dass sie frei von Besessenheit sind. Ein Vorstandsmitglied des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit hat ein Buch geschrieben, und der Deutsche Hochschulverband soll nun nach Meinung von Rauch und Zimmerer bekennen, wie er zu diesem Buch steht: „Wie steht der DHV dazu, dass eine Vorsitzende des Netzwerks gerade ein Buch veröffentlicht hat mit dem Titel ‚Der neue Kulturkampf – Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht‘?“ Wissenschaft hat die Freiheit, alle möglichen Bücher zu veröffentlichen; der Kampf gegen den Teufel aber muß diese Freiheit einschränken, denn es geht um alles oder nichts. Böse Bücher erzwingen Bekenntnisnotstand und Extremismus.

Nun ist Teufelsaustreibung eine gefährliche Sache. Wenn der Teufel ein ganzes Dorf befällt, dann gibt es notwendigerweise mehr Teufel als Teufelsaustreiber, wenn nicht die Exorzisten mit ganzen Armeen statt nur zweier Kritiker der Teufeleien anrücken: Dann aber führt eine Teufelsaustreibung zum Bauernaufstand. Wenn alle als „rechtsradikal“ gelten, wird man ihrer gar nicht mehr Herr. Der kluge Exorzist nimmt es daher nicht mit allen auf, sondern bekämpft den Teufel exemplarisch: Es sind jeweils nur einzelne, die man vom Teufel befreien kann, niemals alle. Wenn die Exorzisten gegen alle vorgehen, dann haben sie schon verloren, und die Teufel haben gewonnen.

Rauch und Zimmerer aber nehmen es tatsächlich nicht nur mit einem ganzen Dorf auf, sondern mit großen Teilen der akademischen community: den Lehrstuhlinhabern, denen es angeblich an Selbstkritikfähigkeit fehlt, die sich unsicher gegenüber dem Nachwuchs zeigten und kollektiv in der Zeit des Nationalsozialismus versagt hätten (von welcher Gruppe würde man das wohl nicht sagen müssen), dem angeblich einseitigen und nachwuchsfeindlichen Hochschulverband, dessen „Schweigen irgendwann als Zustimmung zu werten“ sei, und zwar zu den Aktivitäten des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit – zur vermeintlichen Teufelei also.

Die Teilnahme von Herrn Vosgerau in Potsdam, das Buch von Frau Schröter, einige Kritiken an den Auswüchsen der Gender- und Postkolonialeuphorie – das sind die vermeintlichen Teufeleien, aufgrund derer Rauch und Zimmerer schließen, mehr als 700 Mitglieder des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit und mehr als 30.000 Mitglieder des Deutschen Hochschulverbandes (in der Mehrzahl verbeamtete Professoren) seien wissenschaftspolitisch des Teufels. Und dagegen spielen Rauch und Zimmerer die Rolle der Exorzisten, die diese enttarnen, reinigen, ihnen predigen und sie aufrufen zur Um- und Einkehr. Deren Logik ist, wie oben angedeutet, eine der Verstellung: So, wie sich eine angeblich wissenschaftsfeindliche oder politisch extreme Truppe als Sturmtrupp der Wissenschaftsfreiheit maskiert, so maskiert sich der Teufel als Engel. Der beste und klügste Teufel aber wäre natürlich derjenige Teufel, der sich selbst als Teufelsaustreiber maskiert, also in genau der Rolle auftritt, die Rauch und Zimmerer selbst spielen, nämlich derjenigen des Austreibers eines rechten politischen Extremismusteufels. Was kann uns so sicher machen, dass nicht Rauch und Zimmerer selbst die radikalen politischen Teufel sind, vor denen sie warnen? Antwort: Nichts. Mehr noch: Wenn der Teufel wirklich so klug ist, sich zu tarnen, Worte und Werte zu verwirren, dann wird der Teufel laut „Haltet den Teufel“ rufen, um seinerseits der Teufelei endgültig zum Sieg zu verhelfen. Rauch und Zimmerer aber rufen genau dies. Wenn man nun nicht voraussetzen wollte, dass unsere Wissenschaftswelt insgesamt von Teufeln durchdrungen ist, dann dürften die Teufel in ihr nur eine Minderheit darstellen – und die große Zahl der Mitglieder des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit und des Deutschen Hochschulverbandes werden dann, das ist das Beruhigende, die radikalen Exorzisten aus Berlin und Hamburg gar nicht brauchen.

Teufel lenken nur ab

Exorzismus ist eine komplexe Sache: Jemanden als Teufel oder Rechtsradikalen zu denunzieren ist ganz einfach; der Nachweis böser Absichten oder der Teufelei ist schon komplizierter; den Teufel oder die bösen Absichten aber weg zu bekommen, ist hohe Kunst. Zaubersprüche oder die ritualisierte Wiederholung politischer Phrasen helfen da genau so wenig wie Regentanz gegen Dürre. Viel zweckmäßiger sind Wissenschaften wie Medizin oder Psychologie, kluger Menschenverstand, Empathie für andere und vor allem saubere Begriffe. Um damit anzufangen: „Rechts“ und „links“ sind Relationen, keine Substanzen. Wenn „rechts“ des Teufels ist: Sind dann „links“ die Engel oder auch nur Teufel? Und wo genau sind die? Rauch und Zimmerer müssen wohl noch lernen, wie man wissenschaftliche oder politische Teufel enttarnt, bekämpft und vernichtet. „Haltet den Teufel“ reicht nicht, insbesondere, wenn niemand sicher sein kann, dass die Rufer nicht selbst die Teufel sind. Für alle anderen aber stellt sich die Sache viel einfacher dar: Teufel sind nicht das Problem, und auch nicht der vermeintliche Rechtsradikalismus in der Wissenschaft. Energie sollte man nicht aufwenden auf die Entlarvung wissenschaftlicher Groß- und Hilfsteufel, sondern für die Lösung der offen zutage liegenden Probleme. Und da gibt es im Falle der Gefahren für die Freiheit der Wissenschaft im Zeitalter der Digitalisierung, der Expansion von Großbürokratien, der Erosion der staatlichen Finanzen, der Fraktionierung und Emotionalisierung der Diskurse, usw. einiges zu tun. Rauchs und Zimmerers Exorzismus dagegen ist von gestern, lenkt von diesen Problemen nur ab und ist nicht demokratisch.

Prof. Dr. Burkhard Meißner,
Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg